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Stromboli: Das Platzen der Fruchtblase am 03. Juli 2019 und deren medialisierte Veraschung in die weite Welt

Die Berichterstattungen über das paroxysmale Ausbruchsereignis des Stromboli am 03. Juli 2019 erfüllen in nichtwissenschaftlichen Artikeln die Kriterien für die zunehmende Entfremdung/Verfeindung des menschlichen Seins gegenüber natürlichen Umgebungen. Massenmedialisiertes Wissen über Natur, Vulkanismus und Stromboli verwirbelte sich mit spektakulären Smartphone-Bildern zur Vernebelung wichtiger Details des tatsächlichen Geschehens. Ja, auch das tragische Lebensende des sizilianischen Mannes M.I. wurde verkauft als „Tod durch Lavabombe“. Es galt die medialen Aufmerksamkeitssirenen auszulösen nach dem bewährten Klischee „Vulkan-Ausbruch-Tod“.

Niemand starb durch eine Bombe. M.I. und sein Begleiter rannten trotz Erreichens einer gesicherten Situation dann doch weiter bergab. Beide stürzten. M.I. derart unglücklich, dass er liegen blieb und an den Rauchgasen der brennenden Vegetation erstickte. Sein Begleiter überlebte Stürze und Rauchgase dagegen mit leichten Verletzungen. Die paroxysmale Eruption des Vulkans Stromboli ist ein zeitgenössisches Beispiel dafür, wie thematisch unzureichend gebildete/recherchierende Berichterstatter*innen ein notwendiges und somit unausbleibliches und daher wunderschönes Naturereignis zu einem „Weltuntergangsgefühl“ veraschen konnten.



Plattentektonik erzeugt Vulkanismus. Auch unter dem Tyrrhenischen Meer wird ständig Erdkruste eingeschmolzen, während Geschmolzenes wieder aufsteigt. Durch diesen Kreislauf werden Wärme und chemische Mischungen zwischem Erdinnerem und -äußerem ausgetauscht. Gleichzeitig wird die Erdoberfläche verlandschaftlicht und Wasserdampf aus dem Erdinnern emittiert, welcher sich zu Ozeanen abregnet. Das in Milliarden von Jahren gemusterte Zusammenspiel von Plattentektonik und Vulkanismus schuf langfristig gemäßigte Klimazyklen in der Atmosphäre. Erst dann waren die Voraussetzungen erfüllt für die Entstehung von einfachen bis hin zu höher entwickelten Lebensformen.

Die Auslösung von Angstgefühlen beim Betrachten von bedrohlichen Naturereignissen in medialisierter Dramaturgie funktioniert einwandfrei bei Menschen, die ihre Naturerfahrung hauptsächlich über Medien sozialisiert und kultiviert haben. Wer seine Kindheit in der Stadt verbrachte, ging bei Regen nicht raus zum Spielen.

Um aus diesem Naturangstmuster westlicher Nationen auszubrechen, bietet sich die Kunst als Türöffner an. Kunst konzentriert sich daher auch auf die ästhetischen Komponenten von intensiven Naturereignissen. Künstler*innen leiten daraus Erkenntnis und Einsicht auch für ambivalente Gefüge ab. Mit Hilfe der Kunst gelangten sowohl unsere frühzeitlichen Vorfahren als auch antike Naturphilosophen zu mitunter heute noch angewandten Verständnissen von Natur.

Aus diesem Grunde sind auf dieser Website nur 4 Bilder des paroxysmalen Ereignisses auf Stromboli vom 03. Juli 2019 zu finden, die wiederum als Paar mit je einer Doppelseite aus dem Kinderbuch Strombolina arrangiert worden sind. Die Skizzen für das Kinderbuch machte ich 2013 auf Stromboli. Sie dienten als Vorlagen für die Illustrationen der Künstlerin Carola Göllner. Das Buch erschien bereits 2014 und zeigt verblüffende Ähnlichkeit, fast schon Deckungsgleichheit, mit dem Erscheinen der Magmablase am 03. Juli 2019 (Videostandbild) und dem Erscheinen des Eis (Buch), welches sich auf den folgenden Buchseiten dann als Geburt des Mondes entpuppt.

Collage von Kain Karawahn unter Verwendung folgender Quellen:
Abb. l.o.: Standbild aus dem Video vom 03. Juli 2019 © Thiago Takeuti 2019
Abb. r.o.: Standbild aus dem Video der Überwachungskamera von Skyline webcams vom 03. Juli 2019 © Skyline webcams 2019
Abb. u..: Doppelseite 14/15 aus dem Kinderbuch Kinderbuch Strombolina von Carola Göllner und Kain Karawahn (erschienen 2014) © Göllner/Karawahn 2014


Bis zu sechs Paroxysmen pro Jahrhundert gehören genauso zum Rhythmus des Naturereignisses Stromboli wie dessen tägliche, in die Hunderte zählenden, „Normaleruptionen“.

Jene konnten bereits Millionen von Tourist*innen mit allen Sinnen bewundern, ohne ihr Leben auf Stromboli zu verlieren. Der letzte Paroxysmus mit tödlichem Ausgang geschah am 11. September 1930. Drei Bewohner*innen starben durch einen pyroklastischen Strom. Mehrere tausend Anwesende überlebten unverletzt. Darunter befand sich auch der Schweizer Vulkanologe Alfred Rittmann, Gründer des Vulkanologischen Instituts der Universität von Catania/Sizilien und späterer Präsident der International Association of Volcanology. In seinem 1936 erschienenen Buch „Vulkane und ihre Tätigkeit“ schreibt er über Verlauf, Auswirkungen und Untersuchungen des bis dato heftigsten der nunmehr fünf großen Paroxysmen auf Stromboli der vergangenen 100 Jahre (1919, 1930, 2003, 2007, 2019). Zur Erfassung und Einordnung einer paroxysmalen Eruption offenbart das Ereignis vom 03. Juli 2019 mehr Informationsquellen als jemals zuvor.

Zum ersten Mal überhaupt existieren unzählige Privataufnahmen von einem Paroxysmus des Stromboli. Von dessen sichtbarem Anfang bis zum energetischen Ende.

Der Tod von M.I. ist ein unglücklicher Zufall. Der Trauer seiner Angehörigen gehört mein Mitgefühl. So unwiderbringlich das Leben jedes Menschen ist, so unwiderbringlich ist die Augenzeugenschaft eines seltenen Naturereignisses. In dieser Ambivalenz menschlicher Gefühle bot der diesjährige Paroxysmus ebenso Vorteile wie auch Nachteile. Die Vorteile waren:

  • die paroxysmale Eruption vollzog sich bei wolkenlosem Tageslicht (gute Sichtbarkeit in alle Richtungen);

  • die beginnende Hauptsaison garantierte zahlreiche Augenzeug*innen;

  • es liegen Videoaufzeichnungen und Fotoserien aus nicht zerstörten Überwachungskameras vor;

  • es gibt die umfassende und vollständige Datenaufzeichnung mittels wissenschaftlicher Meßinstrumente;

  • es kursieren Smartphone-Fotos/Videos, aufgenommen aus allen Richtungen des Inselvulkans Stromboli (sogar von Linienflugzeugpassagieren).


Die Nachteile des Ereignisses verteilten sich wie bei allen Paroxysmen zuvor so auch dieses Mal in folgenden bekannten Kategorien

  • Ausbruchsmaterialniederschlag bis in bewohnte Zonen hinein (oft Ginostra);

  • Personenschäden (1930 starben 3 Bewohner*innen, 2019 starb 1 Tourist);

  • Sachschäden (i.d.R. Asche-/Lapillibedeckungen auf Gebäuden, Grundstücken, Straßen usw., welche zu putzen/fegen sind);

  • Vegetationsbrände (je nach Jahreszeit ausbrennen lassen bis zum natürlichen Löschen durch nächtliche Feuchte oder Regen und/oder Löschen per Flugzeug aus der Luft);

  • Unauffindbarkeit eines Prognosemodels für Paroxysmen des Vulkan Stromboli.


Im Jahre 2019 kommt nun allerdings ein gewichtiger zeitgenössischer Nachteil hinzu:

  • private Smartphone-Dokumente (Fotos und Videos mit Ton) wurden sofort online gepostet;

  • Aus der Fülle der Smartphone-Dokumente bedienten sich Nachrichtenagenturen, die in kurzer Recherche von einem Todesopfer erfahren haben und daraus Überschriften und Kurzmeldungen weltweit versendeten á la „Killervulkan; Tourist von Lavabomben erschlagen“; „Menschen sprangen ins Meer“; „Weltuntergang“; „Touristen verlassen die Insel“ usw.);

  • die lava-blut-gefärbte Berichterstattung in allen Massenmedien führte zu Stornierungen gebuchter Aufenthalte auf Stromboli.


Daten und wissenschaftliche Kommentierung wurden bereits am nächsten Morgen (04. Juli 2019) auf offiziellen Portalen im Internet (LGS und INGV) veröffentlicht.

Das gesamte Ereignis ließ sich sowohl von zuständiger Seite (LGS - Laboratorio Geofisica Sperimentale der Universität in Florenz und INGV - Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia) wie auch von international vulkanologisch versierten Wissenschaftler*innen in seiner Enstehung, seinem Ablauf und seinen unmittelbaren Folgen so detailliert wie nie zuvor abbilden, nachzeichnen, analysieren und infolgedessen objektiv einordnen. Sodann wurden Daten (Videos, Bilder, Graphiken) und wissenschaftliche Kommentierung auf offiziellen Portalen im Internet veröffentlicht – bereits am 04. Juli für jede Privatperson nachlesbar/kopierbar. Doch wen interessierte das außer Wissenschaftler*innen und ein paar Strombolisüchtigen?

Collage von Kain Karawahn unter Verwendung der
Stromboli-Karte von Vincenzo Moreno


Als Augenzeuge des Paroxysmus vom 15. März 2007, als Künstler, welcher seit nunmehr 20 Jahren immer mal wieder auf dem Vulkan weilt (oben, unten und ringsherum), wie auch als wissenschaftlicher Laie versuche ich mich nun in eigenen Worten an der Beschreibung der paroxysmalen Eruption am 03. Juli 2019. Das Geschehen und seine Folgen für Personen und Landschaft verteilten sich ausschließlich in Zone A. Zone B blieb unverändert. Der Ablauf des Ereignisses in Zone A erhält im Folgenden eine willkürliche Gliederung in die Phasen 1 bis 5

Es begann messinstrumental unfassbar. Eine Magmablase, die weitaus höhere Gasmengen in sich trug als sonst üblich, suchte am 03. Juli 2019 das Licht der Welt.

Zone A - Phase 1: Es begann messinstrumental unfassbar. Auch als „Wehen“ bereits eine Stunde zuvor mit aufsteigendem Blasendruck erstes Kraterrandmaterial lösten und die Sciara del Fuoco hinunter sandten, wie dort auch Lava zu überfließen begann, stieg keinerlei menschliche Ahnung auf. Eine Magmablase, die weitaus höhere Gasmengen in sich trug als sonst üblich, suchte am 03. Juli 2019 das Licht der Welt. Sie nutzte hierzu keinen der bestehenden Förderschlote, sondern „gebar“ für ihren Austritt aus dem Erdinnern einen eigenen Kanal.

Zone A - Phase 2a: Der jahrhundertseltene „Geburtsvorgang“ bewegte große Teile der Kraterterrasse im nordwestlichen Hangbereich zur Seite. Um 14:45:43 Uhr (UTC/Ortszeit 16:45:43) platzte die Magmablase und verspritzte ihr rotglühendes „Fruchtwasser“ in alle Richtungen.

Zone A - Phase 2b: Diese Erschütterungen, Verschiebungen und Verwerfungen führten zur Unhaltbarkeit der Kraterterrassenoberfläche. Zehn Sekunden nach Zerstäubung der Magmablase erfolgte die sogenannte paroxysmale Eruption mit einem kilometerweit hörbaren „Geburtsschrei“. Schlagartig durchgebrochene/freigewordene Energie riß dabei nicht nur entsprechend größer dimensioniertes Flüssigsteinvolumen mit, sondern auch das gesamte Ausbruchsmaterial, welches sich seit dem letzten Lavafluß im Jahr 2014 in der Kraterterrasse angesammelt hatte. Aschen und Lapilli (ital. Steinchen) flogen 4 bis 5 Kilometer himmelwärts, Lavafetzen und -blöcke erreichten 400 bis 500 Meter Höhe.

Zone A - Phase 2c: Der „Pyroklastische Pollenflug“ verlor schnell an Druck. Die um die 1000° Celsius heißen Fetzen und Teilchen sackten aus vertikalem Aufstieg augenblicklich wieder zurück auf die Krateroberflächen. Dieser Rückfall gebar - vulkanologisch betrachtet - nicht nur einen pyroklastischen Strom, sondern Zwillinge. Zwei 300° bis 800° Celsius heiße „Schaumgemische“ aus zerissenem Magma, Gesteinen und Gas verwirbelten sich mit dem aufgebrochenem und aufgewühlten Hangmaterial (Asche, Lapilli, größere Steine) zu nebeneinander die Sciara del Fuoco hinunter rasenden Geröll- und Glutlawinen (bis zu 700 km/h), welche nach geschätzter 800 Meterreise übers Wasser ins Meer eintauchten und dort eine Flutwelle von 100 cm Höhe auslösten, die beim Auftreffen am Strand bereits auf 40 cm gemindert war.

Zone A - Phase 3: Während die Leichtgewichte unter den pyroklastischen Partikeln bis auf 9 Kilometer Atmosphärenhöhe getragen wurden, bewirkte die Schwerkraft bereits nach Sekunden den Rückflug der größeren Formate. Ballistisch verteilt landeten sie dann in folgenden Bereichen Strombolis: Sciara del Fuoco, Punta dei Corvi, Timpone del Fuoco, in Richtung Ginostra, Sciara del Monacu, Rinna Ranni, Forgia Vecchia und Bastimento. All die Lavafetzen und -brocken, die in den Vegetationsbereichen niedergingen, führten zu sofortigen Zündungen von jedem Gewächs, welches sie berührten (Trockenzeit). Aus einzelnen Buschfeuerstellen von Punta dei Corvi bis zur Forgia Vecchia entstand dann schnell eine durchgehende Feuerlinie, über deren Verlauf jegliche Vegetation in Flammen stand.

Zone A - Phase 4: Gleichzeitig vereinigten sich die nun auf Grund nordöstlicher Windrichtung von der Sciara del Fuoco wegziehenden, übrig gebliebenen Ascheteilchen, Lapilli und Geröllwolken mit den mittlerweile auch wieder nach unten rieselnden Ascheteilchen und Lapilli aus der paroxysmalen Eruption zu einer dichten Bewölkung über den Ort Ginostra. Zusammen mit den zunehmenden Rauchfahnen der Vegetationsbrände bewirkten sie eine vorüberziehende Verschleierung von ca. zwei Dritteln der Vulkaninsel Stromboli.

Hierzu ist anzumerken, dass Asche und Lapilli bereits vor dem Austritt aus dem Förderschlot von geringerer Temperatur sind als z.B. Lavabomben. Asche und Lapilli kühlen entsprechend ihrer längeren Flugzeit, ihrer kleineren Durchmesser und ballistischen Streuwinkel spürbar ab, sodaß sie nach Rückkehr aus der Höhe keine Entzündung mehr von Pflanzen und Gebäuden verursachen können. Viele Tourist*innen haben während ihres Aufenthaltes immer wieder mal je nach Windrichtung und Eruptionsformat Asche- und Lapilliberieselungen, ja sogar auch mal rosinengroßen Brockenbefall, nicht nur oben am Krater, erfahren.

Tatsache ist allerdings, dass es sich beim Paroxysmus am 03. Juli 2019 um stark beschleunigte Aschewolken und Lapilli handelte, zugleich im Verbund mit heißen Gasen, welche mit dem Berstdruck der paroxysmalen Eruption versprengt wurden. Derlei heißer „Glutwind“ (Ausdruck stammt vom griech. Philosophen Heraklit) streifte beim Verströmen in seinen letzten Zügen vermutlich noch den Punta dei Corvi.

Collage von Kain Karawahn unter Verwendung folgender Quellen:
Abb. l.o.: Vegetationsbrände oberhalb von Ginostra 03. Juli 2019 © ?
Abb. r.o.: Vegetationsbrände oberhalb von Ginostra 03. Juli 2019 © ?
Abb. u..: Doppelseite 23/24 aus dem Kinderbuch Strombolina von Carola Göllner und Kain Karawahn (erschienen 2014) © Göllner/Karawahn 2014


Zone A - Phase 5: Mindestens zwei Personen befanden sich auf dem Aufstiegspfad oberhalb des Punta dei Corvi, jedoch noch unterhalb der erlaubten Aufstiegshöhe von ca. 400 m. Diejenigen, die schon mal mit mir diese Aufstiegsroute bewältigt haben, erinnern sich an den durchgängig hohen Neigungswinkel des schmalen Pfades. Auf dessem lockeren Geröllmaterial kommt es in vielen Bereichen bereits beim Aufsetzen des Schuhs zu Rutschungen von Wanderer und Geröll – beim Aufstieg wohlgemerkt.

Was den beiden Männern, M.I., einem strombolikundigen Italiener aus Milazzo und seinem Begleiter aus Brasilien (T.T.), dort zustieß, ist derzeit nur aus dem Zeitungsinterview des überlebenden Brasilianers, seiner Videoaufzeichnung des Magmablasenplatzens, der behördlich verbreiteten Todesursache und aus Gerüchten von Bewohner*innen aus Stromboli rekonstruierbar.

Falls doch einmal aussergewöhnlich heftige Explosionen auftreten sollten, muss man die Geistesgegenwart besitzen, nicht zu fliehen und der Gefahr den Rücken zuzuwenden, weil man so keinerlei Möglichkeit hätte, den Gesteinsbrocken auszuweichen.Verhaltensempfehlung auf der Stromboli-Wanderkarte von Vincenzo Moreno/Denis Patrouillard Demoriane

Das Smartphone-Video des Brasilianers T.T. zeigt zuerst Materialien, welche am Fuße der Sciara del Fuoco ins Meer „springen“ (Phase 1). Schnell schwenkt die Kamera nach oben zum Krater, wo genau in diesem Moment die Magmablase erscheint und platzt. Hier endet die Sicht auf das weitere Kratergeschehen. Das Bild wackelt heftig, die unteren Bereiche der Hangvegetation gen Ginostra werden angerissen, der Kameraträger gerät ebenfalls in Bewegung, weil er zu rennen beginnt, sowie eine Stimme in englischer Sprache auffordert: „Cover your head,“ und die Videoaufzeichnung sofort abbricht.

Die Videoaufzeichnung deckt sich mit den Schilderungen des Brasilianers, wiedergegeben in einem Artikel der italienischen Zeitung La Stampa am 04. Juli 2019. Demnach wurden beide Männer nicht von Lavaformationen oder sonstigem Flugmaterial getroffen. Sie brachten sich in Hangbereichen in Sicherheit, in denen es bereits nicht mehr brannte (Anmerkung: brennende Vegetation auf Stromboli kann bedeuten, dass eine Lavabombe zwar etwas Pflanzliches entzündet, doch auf Grund dessen geringer Brandmasse und Trockenheit derlei Gewächs nur kurzzeitig flammen kann, und daher sein gesamtes Energiepotential feuerwehrschnell verpufft – Strohfeuer! - und es dann später in dieser Zone recht schnell wieder zu grünen beginnt). Doch in solch einer außergewöhnlichen Situation haben unterwegs Seiende im Zustand höchster Verunsicherung auch mit der Entscheidung zu kämpfen, welche (Re)Aktion nun die „Richtige“ ist. Kommt da noch mehr aus dem Krater, rüber von der Sciara del Fuoco, oder kommt der Vegetationsbrand uns vielleicht doch wieder näher? Ein Sprung ins Meer ist an dieser Steilküste keine Lösung, zumal Paroxymen auf Stromboli mitunter große Flutwellen auslösen können, somit jede/r Küstenschwimmer*in ebenso schnell verloren wäre. Aber wer weiß das schon, dass ein Paroxysmus auf Stromboli bisher immer ein einmaliges Ausbruchsereignis war/ist? Wer weiß all das und kann es auch im Zustand akuter Empfindung von Bedrohung abrufen und dementsprechend besonnen/überlegt handeln?

T.T. schildert in dem Zeitungsartikel, dass beide ihre Position in dem Gefühl, dass sie da nicht mehr wegkommen, dann doch wieder verlassen hatten. Im Fliehen, steil bergab rennend, stürzten sie. Hierbei schlug Imbesi derart heftig auf, dass er nicht mehr aufstand und weiteren Rauchgasen ungehindert ausgesetzt war. Weder T.T.'s Mund-zu-Mund-Beatmung noch dessen Herzmassage konnten den Tod seines Freundes verhindern. M.I. starb an den Sturzfolgen in Verbindung mit einer Kohlenmonoxid-Vergiftung.

In dem Zeitungsartikel steht nicht geschrieben, dass T.T. seitens erster Hilfeleistender dehydriert und leicht verletzt angetroffen worden war. Es wäre im zutreffenden Fall zu fragen, warum er körperlich ausgetrocknet war? Aber auch, warum die Vegetationsbrandtemperaturen und -rauchgase ür ihn nicht tödlich waren? Niemals zuvor erlebte Einflußfaktoren - Flammen-, Rauch- und Geröll-/Aschewolken - treiben alle Sinne ins Überleben … können Wahrnehmung und Handeln derart verzerren, dass Leben und Tod des Menschen plötzlich unmittelbar nebeneinander verlaufen.

Das Lebensende von M. I. ereignete sich nicht durch eine „Lavabombe“, sondern gedieh in einer tragischen Kombination aus natürlichem Zufall und menschlicher Überforderung.

In der „Ziegen-Schlucht“ am nordwestlichen Rand der Zone B, sie liegt zwischen der letzten frei zugänglichen Beobachtungsstelle (ca. 400 Meter Höhe) und der Sciara del Fuoco sind auf zeitlich ausbruchsnahen Fotos ebenfalls lokale Feuer- und Rauchentwicklungen erkennbar. Hier ist man selten allein, schon gar nicht in der Hauptsaison, denn hier halten sich sogar im Frühjahr und im Herbst zahlreiche Tourist*innen auf. Es lohnt sich an dieser Stelle zu verweilen ansichts der eindrucksvollen Kompositionen, welche sich aus dem Zusammenspiel von Krateremissionen, Sciara del Fuoco, Meer und Himmel ergeben. Alle hier und in den unteren Pfad- und Beobachtungsbereichen anwesenden Personen sind unverletzt geblieben.

Die einzige Position, aus welcher auch noch einen Tag später Rauch aufsteigt, ist im Bereich des Bastimento am Ende der Vegetationszone unterhalb des roten Felsbereichs, wo beim Aufstieg mitunter mit beiden Händen zu kraxeln ist (zwischen 500 und 600 Meter) . Um dorthin zu gelangen, sind zuvor schmale, mitunter metertief eingegrabene, tunnelähnliche Pfade ohne Sichtkontakt zum Krater und zur Sciara del Fuoco zu durchwandern.

Die Luftaufnahmen, die von Passagieren des vorbeifliegenden Flugzeugs zur Verfügung stehen, sowie die Aufnahmen von Augenzeug*innen sowohl in Ginostra als auch Piscita zeigen insgesamt sehr deutlich, dass die vegetationsbrandverursachenden Lavaformationen alle deutlich oberhalb und außerhalb von Ginostra niedergingen, sowie weit entfernt von Stromboli Ort auftrafen und in allen vegetationslosen Bereichen beim Runterrollen spätestens dann zum Erliegen kamen, wenn sie auf größeres Gestein oder kräftiges Strauch-/Stamm-/Zweiggeäst oder das Meer trafen.

Was sodann in Bewegung blieb, war das Brennen der Vegetation samt Rauchfahnen, dessen Löschung dann die herbeieilende Feuerwehr für strombolianische Verhältsnisse „recht schnell“, bereits am nächsten Tag vollbringen konnte. Insgesamt ist der Abbrand der Vegetation dieses Mal sehr großflächig erfolgt, wie im Vergleich der Satellitenaufnahmen deutlich zu erkennen ist. Es ist ein neuer Förderschlot entstanden, wie auch die bisherigen Förderschlote, genauer ihre Bocken (Austrittsöffnungen), im Durchmesser erheblich zugenommen haben.

Satellitenaufnahme der Vegetationsverteilung auf Stromboli vor und nach dem Brand
12.06.2019 (links) und 07.07.19 (rechts)

Zone B: Die begrünten Hänge auf dem Seitenstück Scari/San Vincenzo/Ficogrande/San Bartolo/Piscita, da drunter die bevölkerungsreichsten Ortschaften liegen, und saisonal zu hunderten per Ausflugsschiffen ausgeströmte "Eintagstourist*innen" unterwegs waren, zusätzlich zu all den anderen saisonalen Tourist*innen, all diese Bereiche zeigen weder Treffer durch Lavaformationen noch Beeinträchtigungen durch Aschewolken.

Die Geschichte von Landschaften wird immer lesbarer. Bez. Stromboli ist belegt, dass dieser Vulkan seit mind. zwei Jahrtausenden regel-und-mäßig eruptiert. Überwiegend wird täglich bis zu 300mal Lava ausgeworfen, alle paar Jahre unterbrochen von mehrwöchigen Lavaflüssen. Die Lavaflüsse können, müssen aber nicht, von einer einmalig und überraschend auftretenden sehr großen Eruption eingeläutet oder auch beendet werden. Ein derlei außergewöhnlich hoher und weiträumiger Ausbruch wird Paroxysmus genannt. Die Häufigkeit von Paroxysmen verteilt sich auf durchschnittlich fünf bis sechs Ereignisse pro Jahrhundert. Ein Paroxysmus kann, muss aber nicht mit einem pyroklastischem Strom (1930 und 2019) oder einem Hangrutsch samt Flutwelle (2002) einhergehen. Die Vorhersage eines Paroxysmus auf Stromboli ist seitens der dort tätigen Vulkanolog*innen als Unmöglichkeit kategorisiert worden. Die Messdaten des Ereignisses vom 03. Juli 2019 definieren Dauer und Fördermengen eindeutig als Paroxysmus mit 2 pyroklastischem Strömen und Asche-/Gerölllawinen. Die seismische Dauer betrug fünf Minuten.

Der Paroxysmus vom 03. Juli 2019 erfüllte alle Kriterien für einen heftigen Ausschlag der global-digitalen Aufmerksamkeitsfilter: Smartphone - Vulkan - Ausbruch - Tod.

Meinem Versuch, das Geschehen auf Stromboli am 03. Juli 2019 in einer lavarnden Mischung aus angelesenen wissenschaftlichen Informationen, Smartphone-Bildern und künstlerischer Projektion darzustellen, folgen nun Ansichten über Art und Weise der medialen Berichterstattung. Als Augenzeuge des Paroxysmus vom 15. März 2007 maße ich mir an, im Vergleich der öffentlichen Rezeptionen beider Paroxysmen die verzerrenden Faktoren des jüngsten Paroxysmus verdeutlichen zu können.

„Mein“ erlebter Paroxysmus vollzog sich am 15. März 2007 nicht bei Tageslicht, sondern in der Nacht. Weder in der beginnenden Tourismus-Hauptsaison, noch verfügte jemand der Anwesenden über ein kamerataugliches Smartphone. Als beim Abendessen auf der Terrasse das „Blühen“ des Paroxysmus plötzlich zu sehen war, holte ich meine Videokamera hervor. Als sie endlich aufnahmebereit war, war die „Blüte“ bereits vorbei. Von daher sind auf den Aufzeichnungen nur Dunkelheit und ein paar Lichtpositionen (vereinzelt brennende Vegetation) zu sehen. Unter den mit mir vor Ort seienden 14 Mitreisenden - die bereits seit Jahren auf Stromboli lebende Schweizer Künstlerin Eva Breitenstein war 2007 unsere Köchin - brach weder Panik aus, noch sprang jemand ins Wasser oder wollte sofort abreisen usw.. Wir waren mit allen Sinnen Zeugen eines besonderen Ereignisses geworden.

Vom Paroxysmus am 15. März 2007 existieren nur Videoaufnahmen von vereinzelten Vegetationsbränden, die allerdings durch nächtliche Feuchte von alleine erloschen. Es gab keine Verletzten, Toten und Gebäudeschäden. Von daher schaffte es das Ereignis nicht als Nachricht in die Tagesberichterstattung der Welt. Knapp 4 Wochen später sind wir dann zu dritt anläßlich der Reise zum Ausgang vom Mittelpunkt der Erde auf den Gipfel gestiegen und habe die unbedeckte/nackte Kraterterrasse des Stromboli bewundert.

Lastbefreite/Blankgeputze Kraterterrasse am 12. April 2007
(Nacktansicht bei Sonnenaufgang nach dem Paroxysmus vom 15. März 2007)
Foto © Kain Karawahn 2007
Lastbefreite/Blankgeputze Kraterterrasse (Nordosten) am 12. April 2007
(Nacktansicht bei Sonnenaufgang nach dem Paroxysmus vom 15. März 2007)
Foto © Kain Karawahn 2007


Was soll eine Lavabombe sein? Kann die Natur/der Vulkan Stromboli tatsächlich Bomben auf Menschen werfen? Das dürfen doch nur Menschen, Bomben auf Menschen werfen.

In der Verwendung des Wortes „Lavabombe“ in Artikeln und Sendungen („Tod durch Lavabombe“) findet sich ein weiterer Beleg für das Missverständnis von Natur und Mensch seitens der Berichterstatter*innen, die dieses Wort verwenden. Nach meinem Verständnis explodieren Bomben beim Aufprall und zerfetzen dann ihre Umgebung. Was soll demnach eine Lavabombe sein? Ein Blindgänger? Kann die Natur/der Vulkan Stromboli tatsächlich Bomben auf Menschen werfen? Ist die Natur nun völlig verrückt geworden? Denn das dürfen doch nur Menschen, Bomben auf Menschen werfen. Mit seinem „Todes-Paroxysmus“ brannte sich der kleine Vulkan Stromboli in die Displays und Naturverständnisse von Millionen anderer Vulkanlaie*innen ein.

Im Zusammenhang mit den Berichterstattungen über Stromboli ist auffällig, dass sich auch seriöse Medien, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Franktfurter Allgemeine als auch TV-Sender wie ARD und ZDF und Deutschlandradio, von der zeitgenössischen Assoziationskette „Vulkan-Ausbruch-Tod“ nicht mehr lösen können. Der Sizilianer M.I. wurde in allen Meldungen deutscher Portale, Blogs und Presse-/Sendermedien von einer Lavabombe getötet. In den namentlich angeführten Medien erfolgte später keine nachträgliche Korrektur dieser falschen Meldung.

Stromboli ist seit mehr als 4.000 Jahren besiedelt, da seine Bewohner*innen sich mit natürlicher Unberechenbarkeit zu arrangieren wissen.

Warum kommen in den TV-Beiträgen zum 03. Juli 2019 überwiegend Tourist*innen zu Wort? Tourist*innen, welche sich alle durch ihre Kommentierung als mit vulkanischen Vorgängen nur unterhaltungsmedial gebildete Augenzeugen*innen präsentieren. Sie liefern an die fragenden Journalist*innen, die alle erst nach dem Paroxysmus auf Stromboli eintrafen, ausschließlich „weltuntergängliche“ Schlagworte und Katastrophen-Suchbegriff-Emotionen. Professionelle Nachrichtenverkaufs-Journalist*innen verwerten dann in hoch dosierten Gefühlsportionen die Angst vor der zerstörerischen Natur am Beispiel des Vulkans Stromboli und maximieren musterhaft die Einnahmen ihres Sendebeitrags.

Natürlich (!) für ein Publikum, welches sich bei Vulkanereignissen mit Toten und derartig spektakulären Bildern (pralle Riesenmagmablase, goliathgrößenwahnsinnige Aschesäule und pyroklastische Zwillingshochgeschwindigkeitsstrudel) wie auch untermalt mit dem Entsetzen aus den Originaltönen der Smartphone-Amateurfilmaufnahmen wohlig fühlend einschauert. Daher kommen auch in den mir bekannten TV-Beiträgen über den Paroxysmus vom 03. Juli 2019 keine Bewohner*innen Strombolis zu Wort. Sonst hätten die Nachrichtenzu-Schauer*innen ja erfahren können:

  • dass auf Stromboli in hundert Jahren immer mit ein paar Paroxysmen zu rechnen ist;

  • dass es falsch ist, bei einem Paroxysmus ins Meer zu springen (Flutwellengefahr);

  • dass alle anderen am 03. Juli 2019 auf Stromboli seienden Kinder und Erwachsenen, Bewohner* und Tourist*innen, unverletzt geblieben sind;

  • dass es keinen Grund gibt, nach einem Paroxysmus Stromboli zu verlassen;

  • dass die wenigen Tourist*innen, die in den TV- und Printbeiträgen als Abreisende gezeigt und erwähnt werden, kein Beleg für zusätzlich abreisende Tourist*innen sein können, denn An- und Abreisen dem Tagesgeschäft auf Stromboli entsprechen.


Wie auch nicht vermittelt wird, dass viele Tourist*innen aus dem einfachen Grund abreisten, dass ihnen nach der behördlichen Sperrung des Aufstiegs zum Krater ihr einziges Reiseziel für Stromboli weggebrochen ist – die große Mehrzahl von Tourist*innen bucht maximal eine Übernachtung.

Somit empfehle ich, sich nicht von den sensationell sommerlöchrigen Berichterstattung sowie den zahlreichen eindrucksvollen Social-Media-Videos/-Fotos blenden zu lassen, sondern sich ausschließlich naturereignisspezifischen Informationen aus seriösen Quellen zuzuwenden (LGS und INGV - nur auf italienisch, aber ruckzuck mittels Übersetzungsportalen nachlesbar und ausreichend verständlich vermittelt).

Die Überschriften in den Medien hätten ja auch lauten können: „Wie immer überlebten auch dieses Mal hunderte Kinder, Frauen, Männer und Tiere einen Paroxysmus des Stromboli!“

Des weiteren ist für viele Menschen hilfreich, die „Todesgefahr“ eines Vulkans Stromboli in Relation zu setzen zu den in dieser Sommersaison leider zahlreich tödlich verunglückten Menschen in den Alpen (Stürze, Steinschlag usw.). Trotzdem zieht es weiterhin jeden Menschen dorthin, welcher sein „Ich in unberührter Gebirgsnatur“ erleben möchte. Und so verabschiedet sich auch das strombolianische „Todesrisiko“ recht eindrucksvoll im Vergleich mit dem Unfallrisiko im deutschen Straßenverkehr.

Für das Jahr 2018 weist das Statistische Bundesamt 399.293 Verkehrsopfer aus. Davon 67.967 Schwerverletzte und 3.275 Todesfälle. In den letzten 21 Jahren (1998 bis 2018) haben in Deutschland 104.464 Menschen ihr Leben in der Alltäglichkeit des Straßenverkehrs verloren. Auf Stromboli haben im gleichen Zeitraum 2 Menschen durch Eruptionsfolgen ihr Leben verloren. Jetzt 2019 und das letzte Mal davor 2001. Im Jahre 2001 war es noch geduldet, auf dem Gipfel zu übernachten. Von zahlreichen dort weilenden Tourist*innen wurde nachts um 02:15 Uhr eine Frau von einem herunter fallenden Stein tödlich getroffen. Alle anderen Personen, darunter auch Kinder blieben unverletzt.

D.h. im Vergleich der Todeszahlen zwischen 1998 und 2018 stehen 2 Tote auf Stromboli den 104.464 Toten in Deutschland gegenüber. Deutschland bot für den 21jährigen Zeitraum die „Sicherheit“ von 4.974 Toten pro Jahr (pro Tag 13,63 Personen) und Stromboli von 0,10 pro Jahr (pro Tag 0,000261). Vielleicht ist nur über diesen makabren Vergleich das trügerische Gefühl zu beseitigen, dass jede Person, die den Vulkan Stromboli bereist hat bzw. bereisen wird, „wahnsinnig“ war bzw. ist.

Fotos & Text (soweit nicht anders angegeben) © Kain Karawahn 2019









 

 


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