Wer auf Stromboli Natur sucht, muß nicht weit laufen und kann sich natürlich verirren. Wer auf Stromboli Kultur sucht, muß ebenfalls nicht weit laufen, um auf ihre häufigsten Repräsentanten zu stoßen, den Irrläufern. Sie sind sehr zahlreich und pflegen die Streitkultur. Es heißt sogar, dass die Äolischen Inseln die höchste Zivilprozeßrate in Italien haben. Das entzündet natürlich zur Frage, ob da, wo die Erde knallt, auch ihre Bewohner einen Knall haben müssen? Diese zu beantworten bedarf es einer anderen Gelegenheit, zumal den mit mehreren hundert Kulturbegriffsvarianten beladenen, klugheitsbegierigen Besuchern aus kulturüberschiessenden Metropolen natürlich noch andere strombolische Kulturen aufrütteln, wie z.B. die Baukultur, die Preiskultur und die Kulturlosigkeit hinsichtlich kultur- und kunstgeschichtlicher Präsenzen. Wollen Besucher im weiteren gerne auch etwas über die Geschichte von Land und Leuten erfahren, finden sie auf Stromboli keinerlei Stätte, in der Inselvulkanstrombolikulturgeschichtliches öffentlich zugänglich aufbereitet ist. Bittet ein wissensdurstleidender Fremdling dann die dort lebenden Menschen um kulturgeschichtliche Unterrichtungen, so geraten die Befragten in ihren Schilderungen schon beim zweiten Satz in einen Streit, wer von ihnen denn nun die "wahre" Geschichte überhaupt kennt - und so fügt der Besucher der Zahl seiner Streitausbruchkulturerlebnisse auf Stromboli mal wieder einen weiteren Strich hinzu.
Dabei ist es doch so festlich hier. Da sprudeln Lavafontänen in festivalen Sphären, verspielen äolische Winde das Feste zum Flüchtigen, schäumt die Brandung des tyrrhenischen Meeres auf verbackenen Erdzutaten. Kurzum, wenn sich auf Stromboli die Festgesandten der empedoklischen "Elemente" alljährlich zu ihrem Frühlingsfest treffen, dann ist auch Feuersalonzeit. Seit 10 Jahren versammeln sich immer im März Natur- und Kulturinteressenten auf den Festmassen Strombolis, suchen Festkultur rein von daheimatlichem Irren in urbanalisierter Professionalität, wollen einfach mal ein paar Festtage epikuren in der "Irrealität" eines magmatischen Natursalons namens Stromboli.
Und so werden sie wie alle anderen Nichtstrombolianer auch von den Festbewohnern Strombolis bereits bei Schiffsankunft begrüßt getreu deren Lebensunterhaltmaxime: Jeder Fremde ist (m)ein Kunde. Glücklicherweise sind die Feuersalonisten hinreichend als Festgeldschwächlinge bekannt, denn sie diesen Kredit in dem 2005 erfolgten Festivalprojekt eruzione d'arte a Stromboli in gemeinsamer Arbeit mit vielen Strombolianern festverzinslich veranlagen konnten:
eruzione d'arte a Stromboli - Impuls
eruzione d'arte a Stromboli - Prognose
eruzione d'arte a Stromboli - Künstler
eruzione d'arte a Stromboli - Programm
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eruzione d'arte a Stromboli - Titelausbruch
eruzione d'arte a Stromboli - Ausstellungen
eruzione d'arte a Stromboli - Temporäre Arbeiten - 17 III 2005
eruzione d'arte a Stromboli - Temporäre Arbeiten - 18 III 2005
eruzione d'arte a Stromboli - Temporäre Arbeiten - 19 III 2005
eruzione d'arte a Stromboli - Temporäre Arbeiten - 20 III 2005
eruzione d'arte a Stromboli - Atelier Feuersalon - 12 - 22 III 2005
Auf Grund dieser über Kunst verfestigten gemeinsamen Bereicherung und Erinnerung kommt es in den Festivaliden des März mittlerweile immer wieder zu vereinzelten Begegnungen des Müßiggangs zwischen Strombolianern und Feuersalonisten. Und die Entscheidung, anläßlich des Feuersalonjubiläums ein neuwürdiges Festspielhaus zu beziehen, war dann vielleicht sogar der Schmetterlingseffekt für zwei gänzlich unerwarterte Ausbrüche feststofflicher Art. Denn, in welchem Zustand göttlicher Erleuchtung auch immer sphärend ordnete der strombolische Pfarrer die Vorverlegung des alljährlichen Festes des heiligen Josef, dem Tanz vor der Kirche auf dem Vulkan, eben in die Aufenthaltsdauer des Feuersalons an. Sodann es am 14 III 2008 zum pfarraokischen Gesangsausbruch kam: der vulkanische Kirchenhüter persönlich versang seine vorösterliche Botschaft in Form italopopulären Karaokes und wurde dafür von seinen vulkanösen Streitschäfchen frenetisch gefeiert.
Und keine zwei Tage später, am 16 III 2008, kam es erneut zum nicht prognostierten Ausbruch strombolischer Festmassen. Plötzlich, so gegen 21:00 Uhr eruptierte im Garten des feuersalonistischen Festspielhauses ein spontanes Jubilee. Ein Viertel der dort ständig lebenden Streitkulturschaffenden fand sich ein mit süsspeisslichen und feuerwässrigen Festgaben samt ihrem lokalen DJ Sebastiano, um in festkultureller Sinnlichkeit und mit kulturverständnisfreudiger Duldung der Carabinieri nochmal richtig Dampf aus ihren Festkörpern zu emittieren, denn eines ja unverrückbar feststand: dass nämlich der Feuersalon mit seinen kunst- und kulturinteressierten Teilnehmern bereits am nächsten Tag vom Festland Stromboli wieder für ein Jahr entschwunden sein wird.
In der Antike vermeidet das Ritual die Katastrophe der Gesellschaft.
Tatsächlich haben erst die letzten Jahrzehnte fast alle vergleichbaren Riten in unserer Welt verschwinden lassen.
Es bleibt somit unserer Generation überlassen zu erproben,
ob und wie Menschen ununterbrochenes Gleichmaß des Lebens im Überfluß zu ertragen vermögen
Walter Burkert
Wilder Ursprung - Opferritual und Mythos bei den Griechen - Berlin 1991
In den Festivaliden des März 2008 zelebrierten daher auf Stromboli das Projekt feste feiern wo sie fallen mit Freude zu Erkenntnisausbrüchen vulkaninselkultureller Art: Janne Beuter, Vera Brand, Patricia Chadde, Billie Erlenkamp, Ines Geppert, Helge Margarete Heinrich, Maria Herrlich, Peter Kalvelage, Kain Karawahn, Peter Michael Krech, Winfried A. Langschied, Sandra Senn, Dimitris Tsoublekas und Nina von Waechter.
Text © Kain Karawahn 2008
Über den 9. Internationalen Feuersalon erschien auch ein Artikel in GOURMED