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"Achtung Sprengarbeiten!" Eine Pflichtlektüre über Bombardements in Gesellschaften und Künsten

Die Ausstellung Achtung Sprengarbeiten! Über die Sprengkraft von Worten, Bildern und Taten in der NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst) in Berlin ist mittlerweile verpufft (20.10. bis 02.12.2007), hat jedoch glücklicherweise eine Titeleruption hinterlassen, die unbedingt als hochtauglicher Zündstoff nicht nur in der Thematik Sprengung und Kunst zu verkünden ist.

Der Begriff Sprengung platzt assoziativ ja immer gerne zwischen zwei Lücken: dem Krater im Körper- und Gegenständlichen und der geistigen Leere der Betroffenen nach dem Knall. Und nun gelingt es einem Buch (fast) erstmals, verschüttete Lücken über das Wesen der Sprengung in Zeit und Raum nicht nur exakt zu globalisieren, sondern diese sogleich auch von unterschiedlichen Autoren kulturhistorisch, architektonisch, chemisch-physikalisch, philosophisch, politisch, soziologisch und immer wieder künstlerisch verfüllen zu lassen. Das Ergebnis ist wissenswerte Explosivität, insbesondere verströmend aus einigen sehr gut recherchierten Textbeiträgen.

Dagegen führt die Qualität der künstlerischen Werke nicht immer zur gewünschten Zündung. Auch verfallen zu viele Abbildungen in die Bedienung von Sprengklischees, verhaften den Betrachter in Kitzel und Spektakel, erreichen so leider nicht das inhaltliche Vermögen der Texte. Spannend ist der hohe Anteil von Künstlerinnen, welche sich nicht nur einfühlsam mit derlei Brisanzen beschäftigen, sondern deren Arbeiten auch zu den herausragenderen zählen.

So z.B. die minutiöse Auseinandersetzung der deutschen Künstlerin Shirin Homann-Saadat bez. der Alltäglichkeit von Landminen in globaler Konfliktpraxis, als deren Resultate sie dann u.a. handelsübliche Tretminen vergolden ließ und diese nun in samtausgeschlagener Kiste als Goldminen (sic!) zur Wertanlage offeriert. Und ein so scheinbar immobiler Wert, wie dieser sich z.B. durch den Gebäudekomplex veranschaulichen läßt, in welchem die Ausstellungsräumlichkeiten untergebracht sind, wird allein durch das zeichnerische Konzept von Ulrike Mohr ins Wanken gebracht. In ihrer "Dokumentation zur Beweissicherung aller in freier Sicht zum Sprengobjekt stehenden Gebäude" überträgt sie alle Fassadenrisse des Hauses per Rotstift maßstabsgerceht auf architektonische Seitenansichten desselben und mustert derart ästhetisch die real sicher wirkende Gebäudesubstanz zu einer einsturzgefährdeten Bruchbude aus (leider nicht in ihrer Vollendung im Buch abgebildet).

Ebenfalls bereichernd ist die Videoarbeit von Mathilde ter Heijne, in welcher diese sich selbst als lebensgroßes Ebenbild erschafft, diesem Modell dann Sprengstoff und Zündmechanimus unter die Kleidung schiebt, derart sich selbst kopiert als "Selbstmordattentäterin" dann an einer Straßenecke öffentlich unauffällig platziert, alsbald es dort unweigerlich zur Versprengung in funkende Überbleibsel dieses ihres Kokons aus dem Jahre 2000, wohlgemerkt, kommt. Und auch die fast keiner Fliege etwas zu Leide tuenden Blumensprengungen von Annette Wehrmann (Abb. o.r.), dokumentiert in Fotografien aus den Jahren 1996 - 2000, setzen in ihrer Subversivität und Poesie gewaltige Fruchtbarkeiten frei, stellen so harmonisierende Verbindungen her zur Herkunft und ständigen Austauschbarkeit aller Materialität, diesbezüglich Martin Regenbrecht es in seinem Textbeitrag nun bombensicher trifft:

"Wir sind die Überreste einer großen Explosion ... Wir sind uns alle schon einmal im Innern der Sonne begegnet, allerdings in Form einzelner Atome und bei Temperaturen heißer als alles, was es auf der Erde je gegeben hat."

In einer Zeit, in der das Wesen der Sprengung sich versprengt hat in die Autorität und thematische Dominanz von Waffenherstellern, Militärs, Terroristen und Unterhaltungsindustrie, bildet das Buch einen fundamentalen Satz zur kulturellen Auseinandersetzung über Widersprüchlichkeiten im zeitgenössischen Umgang mit Sprengungen. So ist es denn z.B. eigentlich auch rahmensprengend, dass hoch dotierte Würdigungen vergeben werden im Namen eines Mannes, der sein Vermögen aus Herstellung und Verkauf von Sprengstoff scheffelte, mit diesem Geld dann aber keine Opferstiftung gründete, sondern aus explosiver Verzinsung jährlich Nobelpreisträger küren lässt?

Text © Kain Karawahn 2007

Peter Kees
100% Sicher
Gesprengtes Objekt
2006

Mathilde ter Heijne
Suicide Bomb
Video - 4:57 Min.
2000

Marita Damkröger
Explosion
Acryl auf Leinwand
300x380 cm
2006

Alle Abbildungen stammen aus dem Buch

Achtung Sprengarbeiten!
© NGBK Berlin, Künstler, Autoren und Fotografen - 2007

Herausgeber NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst)
Achtung Sprengarbeiten!
Über die Sprengkraft von Worten, Bildern und Taten
Achtung Sprengarbeiten! erforscht das Phänomen Sprengung und seine gesellschaftlichen Implikationen von Macht und Ohnmacht. Das Thema wird auf die vier Schwerpunkte Spektakel, Intervention, Gefahrenzone und Dekonstruktion fokussiert.
AutorInnen:
Thomas Brandstetter, Mike Davis, Eckhard Gruber, Shirin Homann-Saadat, Martin Regenbrecht, Jörg Rennert, Ludwig Seyfarth, Annette Taubert, Christoph Tempel
KünstlerInnen:
BNB-Ballistic (David Baur/Markus Nießner), Marita Damkröger, Eiko Grimberg, Rudolf Herz/Ruth Toma, Shirin Homann-Saadat, Peter Kees, Eberhard Klöppel, William Kentridge, Friederike Klotz, Holger Lippmann/Alekos Hofstetter, Ulrike Mohr, Holger Meins/Aktionsgruppe Starbuck, Oliver Siebeck, Rosemarie Trockel, Mathilde ter Heijne, Aoife van Linden Tol, Annette Wehrmann, Hans HS Winkler
Berlin 2007
136 Seiten - Zahlreiche Abbildungen - ISBN: 978-3-938515-10-5

 



 


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